Notre Dame – mir blutet das Herz

… aber nicht nur wegen der Brandkatastrophe, die die Kathedrale ereilt hat, sondern insbesondere wegen der inzwischen mehr und mehr um sich greifenden besserwisserischen Kommentare allenthalben im Netz und in anderen Medien!

Da wird allen Ernstes die Frage des Wiederaufbaus von Notre Dame in Konkurrenz gesetzt zu Fragen der Flüchtlingshilfe, zu Hilfen für Menschen in Afrika und vieles andere. Abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass diese Zeitgenossen tatsächlich in wesentlichem Umfang für die von ihnen als wichtig angesehenen Zwecke spenden würden (sie wollen sich ja nicht selbst durch eine Spende einschränken, sondern wollen meistens, dass dies „die Anderen“ tun!), so ist doch der im Ergebnis in Rede stehende Betrag bezogen auf die Anzahl der Menschen, die sie als hilfsbedürftig ansehen, verschwindend gering, zumindest so gering, dass es eigentlich unproblematisch möglich sein sollte, beide Ziele gleichzeitig zu verfolgen.

Aber darum geht es ja vermutlich nicht! Der Wiederaufbau eines solch‘ bedeutenden Kulturdenkmals von europäischer, ja weltgeschichtlicher Relevanz soll ganz einfach schlechtgeredet werden. Notre Dame steht für die Blütezeit der Hochgotik, eine der wichtigsten Epochen des Spätmittelalters in (West-)Europa, als die Menschen sich selbst als bedeutend zu begreifen lernten und damit der Grundstein für die spätere Renaissance gelegt wurde. Später war Notre Dame der Standort des Endes der Französischen Revolution und der Dom, im dem sich Napoleon Bonaparte selbst die Kaiserkrone aufsetzte – mit der Folge, dass das Heilige Römische Reich deutscher Nation mit dem Reichsdeputationshauptschluss zu Ende ging. Und wieder 250 Jahre später hat Notre Dame – neben der Kathedrale von Reims – die deutsch-französische Aussöhnung nach vielen blutigen Kriegen zwischen den eigentlich seit der Zeit Karls des Großen verschwisterten Völkern erlebt, die wiederum zum Kernpunkt der europäischen Zusammenarbeit wurde. Viele Schulklassen der 60er und 70er Jahre haben anlässlich von Klassenfahrten ergriffen auf dem Platz vor Notre Dame gestanden (von dem bekanntlich die Kilometerzählung in alle französischen Regionen ausgeht) und erstmals gespürt, welche Dimensionen Europa hat und dass der Zusammenhalt Europas ein wesentlicher Beitrag ist, aus dem heimischen Krähwinkel herauszufinden. Einen solchen historischen Ort gibt man nicht einfach wegen eines Brandschadens auf!

Mir kommt der böse Verdacht, dass viele, die gegen die Kosten für einen Wiederaufbau der Kathedrale polemisieren, eigentlich ein anderes Ziel im Auge haben. Ihnen gefällt es nicht, dass damit ein Symbol einer europäischen supranationalen Lebensart wieder in den Blickpunkt kommt – „divide et impera“ (teile und herrsche) wäre ihnen wahrscheinlich lieber, um darauf ihr nationalistisches Süppchen kochen und das friedliche Einvernehmen zwischen den Völkern stören zu können. Auch die Tatsache, dass Europa historisch nicht zuletzt auf der Universalität des Kirchenbegriffs beruht, wie sie der Katholizismus repräsentiert, wird ja durch Notre Dame als Diözesankirche von Paris immer wieder ins Gedächtnis gerufen, und stört damit diejenigen, die am liebsten nur ihr enges nationalistisches Eckchen pflegen würden.

Diesen Zeitgenossen sei aber gesagt: wir lassen uns durch eure Ideen nicht vom Weg der friedlichen Zusammenarbeit in Europa abbringen! Und dazu gehört eben auch die europäische Solidarität beim Wiederaufbau eines solchen weltgeschichtlich wichtigen Symbols, wie es Notre Dame darstellt.

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