Luftschlag auf Syrien – ein Dilemma!

Nach dem Luftschlag auf Syrien wird heftig diskutiert – war das richtig, war das zulässig, wurde die „Unschuldsvermutung“ eingehalten?

Ich finde: diese Fragen sind größtenteils falsch gestellt.

  1. „Unschuldsvermutung“:
    Zwischen Staaten gibt es kein Strafprozessrecht und damit auch keine einzuhaltende „Unschuldsvermutung“. Auch ein Strafrecht gegen Staaten hat sich noch nicht herausgebildet – und wird es wohl auch nie, dann „schuldig“ im strafrechtlichen Sinne können eigentlich immer nur Individuen werden und nicht Institutionen. Auch bei den Nürnberger und Tokioter Prozessen nach dem 2. Weltkrieg waren Individuen angeklagt und nicht der Staat als solcher – wie hätte man einen Staat auch bestrafen können? Man hat zwar sog. „verbrecherische Institutionen“ angeklagt, sie aber nicht im strafrechtlichen Sinne bestraft, sondern „nur“ aufgelöst (z.B. NSDAP und SS, um nur zwei zu nennen). Was wäre also, wenn tatsächlich „der Staat Syrien“ sich des verbrecherischen Einsatzes von Giftgas (hier wohl Chlorgas) schuldig gemacht hätte? Wer würde hingehen können, ihn aufzulösen? Schuld oder Unschuld eines Staates, also einer Institution, ist daher wohl eine falsche Begrifflichkeit – und damit auch eine wie auch immer geartete Unschuldsvermutung. Interessant nur, dass auf diesem Pferd in Deutschland insbesondere die Rechtspopulisten von der AfD und die Linkspopulisten von DIE LINKE reiten. Man könnte meinen, die Protagonisten dieser beiden Parteien wollen über eine mögliche „Kollektivierung von Schuld“ das Schuldigwerden von Individuen überdecken – ein Schuft, der bei Betrachtung der Herkunft bzw. Geschichte dieser beiden Parteien Böses dabei denkt!
  2. War aber der Luftschlag auf Syrien im völkerrechtlichen Sinne zulässig?
    Kurz und gut: ich weiß es nicht! Einerseits verstößt er unzweifelhaft gegen das Prinzip der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, wie es z.B. seit dem Westfälischen Frieden 1648 festgelegt ist (das sog. „Prinzip von Westfalen“). Jeder Staat hat danach das Recht, seine inneren Angelegenheiten ungestört durch äußere Einflüsse selbst zu regeln, ohne dass ihm ein anderer Staat dazwischenreden oder dazwischenhandeln darf. Das „Prinzip von Westfalen“ hat mehrere Jahrhunderte lang im Wesentlichen zur Befriedung zwischen den Völkern beigetragen. Aber: das selbe Prinzip hat damit auch Auschwitz, Srebrenica und viele andere Situationen nicht verhindern können, denn dass ein Staat(schef) seine Handlungen gegen sein eigenes Staatsvolk (ganz oder in Teilen) richtet, war den Machern des Friedens von Münster und Osnabrück noch fremd – hier hat sich die Welt eindeutig zum Schlechteren entwickelt! Man bedenke: hätte Adolf Hitler nicht Krieg angefangen, wäre wahrscheinlich Auschwitz nie befreit worden, denn das Verbrechen an den Juden und anderen Bevölkerungsgruppen war nun mal „innere Angelegenheit“ des deutschen Reiches in seiner nazistischen Ausgestaltung und kein anderer Staat hätte in Deutschland unter der Ägide des „Prinzips von Westfalen“ militärisch eingegriffen! Nur der Krieg nach außen schuf eine Legitimation für militärisches Handeln anderer Staaten und hat damit in der Konsequenz auch zur Beendigung der Judenverfolgung geführt. Noch die Charta der Vereinten Nationen geht von diesem Prinzip der Nicht-Einmischung aus (außer, der Sicherheitsrat legitimiert andere Staaten zum Eingreifen – eine wichtige Weiterentwicklung, wie ich finde, die aber durch das Veto-Recht seiner ständigen Mitglieder ausgehöhlt wird) und auch die KSZE-Schlussakte schreibt dieses Prinzip noch fort.
    Allerdings: spätestens nach Srebrenica gibt es einen Wandel in der Auffassung der Völker: neben die Nicht-Einmischung ist inzwischen als Terminus die „Responsibility to protect“ getreten, die Verantwortung, Übergriffe gegen elementare Menschenrechte auch militärisch zu bekämpfen, wenn sie sich innerhalb eines Staates abspielen, ohne internationale Grenzen zu überschreiten. Diese Begrifflichkeit ist in ihrer Genese mit den Mordaktionen innerhalb des sich auflösenden Jugoslawien gedanklich fest verbunden. Die niederländischen Truppen, die rund um Srebrenica eingesetzt waren und die Mordaktionen dort – wegen des Prinzips der Nicht-Einmischung – tatenlos mit ansehen mussten, haben unter dieser Situation sehr gelitten und nicht zuletzt aus dieser Entwicklung heraus tritt aus meiner Sicht zunehmend die Schutzverantwortung der Staaten neben das Prinzip der Nichteinmischung. Ob dies allerdings heute schon umfassend als herrschende völkerrechtliche Meinung angesehen werden kann (Völkerrecht besteht bekanntlich nur zu einem geringen Teil aus geschriebenem Recht, ein größerer Teil ist Völkergewohnheitsrecht, das sich einfach aus der Praxis heraus entwickelt), dürfte strittig sein – immerhin beharren mit Russland und China zwei wichtige Mitglieder des Weltsicherheitsrats derzeit anscheinend noch immer uneingeschränkt auf der Geltung des „Prinzips von Westfalen“, was sie erst jüngst wieder durch das Veto bei bestimmten Entscheidungen zu UN-Resolutionen deutlich gemacht haben.
  3. Und was heißt dies nun? Folgt man dem hergebrachten Prinzip der Nichteinmischung, dann war der Luftschlag von USA, Frankreich und Großbritannien gegen Syrien sicher falsch, denn hier wurden innere Angelegenheiten Syriens von außen beeinflusst. Folgt man aber dem Prinzip der „Responsibility to protect“, dann war der Luftschlag gerechtfertigt, denn er diente dazu, einen Chemiewaffenangriff auf einen Teil der eigenen Bevölkerung zu sanktionieren und vor allem durch Zerstörung der Depots und Produktionsstätten eine Wiederholung zu verhindern. Anscheinend sind dabei auch alle Schritte getan worden, Verluste unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden – bislang zumindest haben weder Assad noch seine Verbündeten (anscheinend war ja auch Russland vorher eingeweiht) Verluste an der Zivilbevölkerung angeprangert, was mindestens Assad sicher getan hätte, wäre es dazu gekommen.
    Welchem der beiden Prinzipien „Nichteinmischung“ vs. „Schutzverantwortung“ man nun persönlich folgen will, mag – zumindest beim derzeitigen Stand der Diskussion – jeder für sich selbst beurteilen und entscheiden. Ich persönlich finde, dass es gute Gründe gibt, diesen Luftschlag für angemessen und berechtigt zu halten – und damit auch der Auffassung unserer Kanzlerin zu folgen.
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